Hinweis auf eine Petition Die unsachliche und z.T. diffamierende Berichterstattung über die Arbeit von Grundschullehrerinnen und -lehrern an der Rechtschreibentwicklung von Kindern muss endlich aufhören.
Deswegen fordern wir von Journalisten – insbesondere von denen, die für den SPIEGEL schreiben: Stoppt eure undifferenzierte und unsachliche Berichterstattung über die Methode „Schreiben nach eigener Aussprache“ (nicht nach „Gehöa“!) und setzt euch endlich ernsthaft und professionell mit der Diskussion über die Rechtschreibentwicklung von Grundschulkindern auseinander!
Begründung:
Im SPIEGEL Nr. 41 vom 2.10. polemisiert die Medizinerin Veronika Hackenbroch unter dem Titel „Wie weltferne Bildungsforscher den Deutschunterricht ruinieren“ gegen die Methode, Kinder in der Anfangsphase eigene Texte lautorientiert schreiben zu lassen. Als Lehrer und Lehrerinnen, die zum Teil seit 20, 30 und mehr Jahren Kinder erfolgreich zum Lesen und (Recht-)Schreiben geführt haben, fühlen wir uns durch diesen schlecht recherchierten Artikel einer fachfremden Journalistin in unserer Arbeit diffamiert. Uns wird mit dem Artikel letztlich unreflektiertes Handeln und damit mangelnde Professionalität unterstellt: Welch grober Unfug und beispiellose Unverschämtheit!
Neben unserer persönlichen Erfahrung, die Eltern und andere Interessierte tagtäglich in unseren Klassenzimmern überprüfen können, sind es auch Ergebnisse der Forschung, die Frau Hackenbrochs Behauptungen als rein persönlich motivierte Kampagne (s. schon SPIEGEL Nrn. 25 und 48/2013 und 24/2014) entlarven:
1. Sie stützt ihre Behauptung einer „Rechtschreibkatastrophe“ vor allem auf die Siegener Studie von Steinig u. a., die an nur drei(!) Schulen durchgeführt wurde – dazu in einer Region, die in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten einen dramatischen Sozialwandel durchgemacht hat. Es gibt aus diesem Zeitraum aber mehr als ein Dutzend Studien, die die Entwicklung der Rechtschreibkompetenz sehr unterschiedlich einschätzen (vgl. die Übersicht in „Grundschule aktuell“, H. 16/2013) .
2. Im Übrigen: Die Methodik von Lese- und Schreibunterricht wurde in der Siegener Studie gar nicht berücksichtigt und deswegen kann sie nicht als Nachweis für oder gegen das Wirken dieser oder jener Methode herangezogen werden. Das aber tut Frau Hackenbroch: Mangels oder wider besseren Wissens? Sie hätte zur Kenntnis nehmen können, ja müssen: Eine unabhängige Metaanalyse der wenigen vorliegenden Methoden-Untersuchungen von Funke (2014) kommt zu dem Schluss, dass sich eine Fehlentwicklung durch lautorientiertes Schreiben im Vergleich mit anderen Methoden nicht belegen lässt.
3. Frau Hackenbroch verklärt zudem die sog. „bewährten Methoden“ der Vergangenheit. Aber: Gerade das Ergebnis dieser Methoden sind viele Millionen funktionale Analphabeten unter den Grundschulabsolventinnen und -absolventen der 1950er, 1960er und 1970er Jahre – Folge der damaligen „Massenexperimente“ mit Fibellehrgängen und blindem Rechtschreibdrill. Auch für den Durchschnitt zeigt die aktuelle l.e.o.-Studie (2012) , dass ältere Menschen nicht rechtschreibsicherer sind als jüngere.
Uns ist bewusst, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die ihren Lese- und Schreibunterricht nicht fachgerecht durchführen. Diese finden sich allerdings bei allen Methoden: Es gibt Klassen, die mit dem „Schreiben nach eigener Aussprache“ (nicht nach ?Gehöa“!) selbst unter schwierigen Bedingungen weit überdurchschnittliche Ergebnisse erreichen, und andere, die mit traditionellen Methoden miserabel abschneiden – und umgekehrt. Hätte Frau Hackenbroch das blind kritisierte Buch ?Vermessene Schulen? von Hans Brügelmann mit Verstand gelesen, hätte sie vielleicht etwas gründlicher über den zentralen Satz „Pädagogik ist keine Technik“ nachgedacht: Der Erfolg einer jeden Methode hängt von ihrer kompetenten Umsetzung im Unterricht und von der pädagogischen Haltung der Lehrerinnen und Lehrer ab.
Wir verwahren uns nachdrücklich gegen die pauschale Unterstellung didaktischer Inkompetenz und fordern ein sachliches und differenziertes Nachdenken über die Schwierigkeiten des Anfangsunterrichts, wie sie beispielhaft in dem aktuellen Sammelband „Rechtschreibunterricht in der Diskussion“ des Grundschulverbands von Praktikerinnen und Praktikern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen geführt wird.