Wieder mal die Grundschule!
Was in den Koalitionsverhandlungen zur Schulpolitik beschlossen wurde, ist noch sehr vage und spricht nicht dafür, dass sich jemand ernsthafte Gedanken darüber gemacht hat, wie die Qualität von Schule verbessert werden kann. Nicht einmal die Wahlkampfversprechen in Bezug auf zusätzliche Planstellen werden konkret eingelöst! Die längst überfälligen Maßnahmen für die Sekundarstufe werden nicht in Angriff genommen. Dafür werden ein weiteres Mal Grundschulen und Kindertageseinrichtungen verändert – so als sei die Misere der 15 Jährigen in Deutschland ein Ergebnis der unzulänglichen pädagogischen Arbeit des Elementarbereichs und der Primarstufe.
Empörung in den Lehrerzimmern
Grundschule war bis zum 10. Juni 2005 die einzige Schulform in Deutschland, die bei internationalen Vergleichsuntersuchungen einigermaßen gut dastand. Gestern noch war Grundschule in NRW eine Schule, an der alle Kinder eines Wohnbezirks gemeinsam leben und lernen konnten. Das soll sich nun ändern! Mit Zensuren ab Klasse 2, Kopfnoten für Arbeits- und Sozialverhalten, öffentlichem Ranking und freier Schulwahl, mit Englisch ab Klasse 1 und Verkürzung der Lernzeit in den Kindertageseinrichtungen scheint die neue Landesregierung nun auch die Arbeit an den gut 3000 Grundschulen in NRW im Kern verändern zu wollen.
Noch ist keiner der in die Öffentlichkeit getragenen Gedanken der Koalitionäre näher begründet oder praktikabel erläutert. Vielleicht ist alles am Ende doch nicht so gemeint gewesen. Dennoch ging eine Welle der Empörung durch die Lehrerzimmer! Statt konkret zu sagen, wo die vier- bis achttausend neuen Lehrer eingesetzt werden, um die Situation der Kinder zu verbessern, wurden Maßnahmen vorgeschlagen, die nur als frontaler Angriff auf die pädagogische Entwicklung der Grundschule verstanden werden können.
In kurzen Sätzen viel Raum für Spekulationen
Nicht viel konkreter Inhalt in den Koalitionspapieren – dafür gibt es breiten Raum für Fragen und Spekulationen:
Wer die Noten ab Klasse 2 und eine Kopfnote für Sozialverhalten und Mitarbeit einführen will, hat die Diskussion um Leistungserziehung der vergangenen Jahrzehnte nicht verstanden und trifft die Grundschule im Kern.
Wer die Schulbezirke für die Grundschulen abschaffen will, kann doch über die Bedeutung von Wohnortnähe, Schülerfahrkosten und Raumplanung nicht gut nachgedacht haben.
Wer öffentliche Leistungsvergleiche der Schulen mit dieser freien Schulwahl verbindet, verstärkt das soziale Gefälle zu Ungunsten ohnehin Benachteiligter.
Wer die Fremdsprache im ersten Schuljahr einführt, braucht dafür eine passende Didaktik und das entsprechend ausgebildete Personal.
Wer die Einschulung um ein Jahr vorziehen will, muss erklären können, warum das Lernen in den Kindertageseinrichtungen auf zwei Lebensjahre begrenzt werden soll. (Oder ist damit die Verlängerung der Grundschulzeit um ein Jahr gemeint – so etwa als vereinfachte Version des niederländischen Bildungssystems?)
Wer all diese Veränderungen sofort in Angriff nehmen will, ohne die Maßnahmen mit den tatsächlich Betroffenen zu diskutieren und zu verabreden, schafft weitere Unruhe an den Schulen und stört die kontinuierliche, pädagogische Entwicklung des Bildungswesens.
Da die Pressemeldung der CDU – anders als die anderen Meldungen über die Ergebnisse von Koalitionsverhandlungen – keine Unterschrift trägt, hat die Koalition wohl immer noch niemanden gefunden, dessen Name sich mit diesem frontalen Angriff auf die Grundschulpädagogik verbinden lässt. Noch ist unklar, wer ein Ministerium leiten will, das wesentliche Kerne der Grundschulentwicklung der vergangenen Jahrzehnte zerstören soll.
Lehrerinnen, Eltern und Kinder sind gespannt.
Baldur Bertling
Pressesprecher der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen des Grundschulverbandes
email@mb-bertling.de
www.grundschulverband-nrw.de